Biografiearbeit
Kriegserinnerungen: “Zuhören noch wichtiger”
Bilder von Zerstörung, Flucht und Vertreibung dominieren in den Medien seit Monaten. Berichte vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wecken bei Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, Erinnerungen an die eigenen, teilweise traumatischen Erlebnisse in der Kindheit. In den Seniorenzentren der Zieglerschen nehmen sich die Mitarbeiterinnen Zeit, um den Erinnerungen Raum zu geben, sie hören zu und schenken Trost.

„Neun Jahre war ich alt, als wir unsere Heimat an der Ostsee verlassen mussten“, erzählt eine Bewohnerin. Durch die Bilder von Flüchtenden aus der Ukraine müsse sie noch öfter an die Erlebnisse von damals denken als sonst.
Erinnerungen Raum geben
„Es ist wichtig, dass wir den Erinnerungen Raum geben und mit unseren Bewohnern darüber sprechen“, sagt Johannes Ehrismann, Referent für Theologie und Ethik bei den Zieglerschen. Hilfreich sei beispielsweise, zu überlegen, was damals geholfen habe, um mit der Situation fertig zu werden. Frauen wie die zitierte Bewohnerin hätten ihr Schicksal gemeistert und das könne auch anderen Menschen Mut machen und sie zuversichtlich stimmen. „Auch regelmäßige Friedensgebete können Trost geben.“
Für Kerstin Dreßler, Betreuungsmitarbeiterin im Karlsstift in Schorndorf, ist Zuhören noch wichtiger geworden. Immer wieder würden sich die Gespräche der Bewohner:innen um die furchtbaren Geschehnisse in der Ukraine drehen. „Bilder von Panzern und Waffen, flüchtenden Frauen und Kindern holen die eigenen Erfahrungen nach oben“, berichtet Dreßler. Ob eigene Vertreibung, Erfahrungen im Auffanglager oder im Luftschutzkeller – für viele Senior:innen seien die Jahrzehnte zurückliegenden Erlebnisse plötzlich wieder sehr präsent.
Keine alten Wunden aufreißen
Für Dreßler ist es wichtig, die Senioren an der Hand zu nehmen und nicht abzuwiegeln. „Ich sage, dass sie ruhig weinen dürfen und versuche, zu trösten“, beschreibt sie. Sie versuche aber auch, Positives, wie die Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten, aufzuzeigen, um Mut zu machen. Gut seien auch die Gespräche im größeren Kreis, zum Beispiel beim Nachmittagskaffee. Allein durch das Reden lasse die schlimme Anspannung nach. „Wichtig ist aber auch, dass wir niemanden drängen. Wir wollen keinesfalls alte Wunden aufreißen“, betont Dreßler. Als Fachkräfte hätten sie und ihre Kolleginnen gelernt, die Menschen in ihrer jeweiligen Situation abzuholen. „So können wir auch jetzt mit der aktuellen Lage professionell umgehen.“
Auch bei der morgendlichen Zeitungsrunde fragen die Bewohner nach und wollen wissen, was in der Ukraine aktuell passiert. „Gedanken werden geteilt“, berichtet Nathalie Wiedmann, Leiterin Soziale Betreuung. Ein Bewohner, ehemals Diakon, spricht im Seniorenzentrum Taläcker jeden Tag ein Gebet zum Mittagessen. „Seit Beginn des Krieges bezieht er die Menschen in der Ukraine in das Gebet mit ein“, so die Mitarbeiterin.
Auch Regina Hönes, Einrichtungsleiterin des Gemeindepflegehauses Härten in Kusterdingen, berichtet von Bewohnern, die das Kriegsgeschehen in der Ukraine regelmäßig am Fernseher verfolgen. Nicht wenige hätten Gesprächsbedarf. „In einer Fortbildung haben unsere Betreuungskräfte erfahren, wie wichtig es ist, zur Verfügung zu stehen, wenn jemand reden möchte“, sagt Hönes.
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